Rückblick: Intelligente Netze im Fokus beim 13. Smart Grids-Kongress Baden-Württemberg
Am 04. Dezember 2024 fand der 13. SG-Kongress BW in der Schwabenlandhalle in Fellbach sowie per Livestream statt. Auch in diesem Jahr standen Fachdiskussionen, Austausch und Vernetzung auf dem Programm.
Neustart und was nun? Was braucht es für eine Verstetigung der Digitalisierung der Energiewende? Diese Fragen stellte der 13. Smart Grids-Kongress Baden-Württemberg am 04. Dezember 2024 in der Schwabenlandhalle in Fellbach und per Livestream.
Moderiert von Markus Brock (3sat/SWR) warf die Veranstaltung einen Blick auf den Umsetzungsstand intelligenter Netze in Baden-Württemberg sowie aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen. Organisiert wurde der Kongress vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit der Smart Grids-Plattform Baden-Württemberg e.V.
Eingeleitet wurde der diesjährige Smart Grids-Kongress Baden-Württemberg mit einer Begrüßungsrede der Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, Thekla Walker (MdL). Sie betonte die Dringlichkeit, den eingeschlagenen Kurs bei der Energiewende konsequent weiterzuverfolgen. Dabei unterstrich sie, dass ein Kurswechsel zum jetzigen Zeitpunkt teurer wäre als die Fortsetzung der bisherigen Anstrengungen. Mit Verweis auf die Brunsbütteler Erklärung machte Walker deutlich, dass die Energiewende keine parteipolitische Frage ist, sondern ein gesamtgesellschaftliches Projekt, das vorangetrieben werden müsse. „Stehen bleiben, abwarten, aussitzen, das kann nicht die Devise sein“, mahnt die Ministerin und forderte stattdessen, bei auftretenden Schwierigkeiten nach konstruktiven, überparteilichen Lösungen zu suchen, um die gesteckten Ziele besser zu unterstützen. Die Akteure im Land seien schon jetzt ein herausragendes Beispiel dafür, wie Zusammenarbeit aussehe.
Block 1: Smart Meter Rollout als Grundvoraussetzung für Intelligente Netze
Baden-Württemberg nahm bei der Digitalisierung der Energiewende von Beginn an eine Vorreiterrolle ein, wie Beatrix Brodkorb, Leiterin der Unterabteilung Stromnetze im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, hervorhob. Heimische Unternehmen wie Theben und PPC seien als Hersteller maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt. Brodkorb räumte ein, dass die Pionierrolle auch neue Herausforderungen mit sich brächte. Dennoch sei es wichtig, die bereits erzielten Erfolge zu verstetigen, was sich auch in den wachsenden Genehmigungszahlen widerspiegele. Die Dynamik in der Branche zeige sich unter anderem daran, dass allein im letzten Monat drei neue Steuerboxen zertifiziert wurden. Smart Meter seien dabei unverzichtbar für ein resilientes und cybersicheres System. Um den Rollout robust zu gestalten, sollen nahezu alle Anlagen – mit Ausnahme von Kleinanlagen – durch Smart Metering sicht- und steuerbar gemacht werden. Die Politik auf der Bundesebene müsse hierbei – auch ungeachtet der Parteifarbe – die von der Verwaltung vorbereiteten Regelungsakte abschließen, um den Akteuren Planungssicherheit zu bieten.
Der Smart Meter Rollout nimmt deutlich an Fahrt auf, wie Arkadius Jarek, Leiter Messstellenbetrieb bei Netze BW, berichtet. Mit bereits 120.000 installierten intelligenten Messsystemen und monatlichen Installationsraten von durchschnittlich über 9.000 Geräten wurde kürzlich sogar die 10.000er-Marke überschritten. Die Backendsysteme laufen stabil und sind für weiteres Wachstum ausgelegt. Dennoch sieht Jarek ein wesentliches Hemmnis: die Wirtschaftlichkeit. Die Grenzkosten sowohl bei modernen Messeinrichtungen als auch bei intelligenten Messsystemen liegen derzeit über den festgelegten Preisobergrenzen. Er betonte dabei die Notwendigkeit, die Preisobergrenzen an den aktuellen Gegebenheiten zu orientieren und nicht an den ursprünglichen Festlegungen von 2011. Für Mitte 2026 plant das Unternehmen den Steuerboxrollout in großen Stückzahlen. Damit werde auch die Steuerung nach § 14a EnWG endlich in großem Umfang realisiert und damit ein zentrales Element zur Hebung von Kleinflexibilitäten umfänglich einsetzbar.
Ein eindrückliches Beispiel für die Herausforderungen der Energiewende lieferte Thomas Peter Müller, Geschäftsführer der Albwerk GmbH & Co. KG, in seiner Präsentation. Das unter dem Motto „ALBWERK – DA STECKT HER[T]Z DRIN“ firmierende Unternehmen steht exemplarisch für die mittelständischen Verteilnetzbetreiber, die seit Generationen die Energieversorgung im ländlichen Raum sicherstellen. Von der ursprünglichen Elektrifizierung der Region bis zur heutigen Versorgung von über 120.000 Messstellen entwickelte sich das Unternehmen stetig weiter. Müller schilderte dabei die aktuellen Herausforderungen seines Netzgebiets: Die Einspeisung von EE-Anlagen überstieg bereits die Last um ein Vielfaches – mit steigender Tendenz. Dies führte besonders in der Mittelspannung zu Problemen im Spannungsband. Während die Transparenz in der Mittelspannungsebene noch zufriedenstellend war, bestand in der Niederspannung deutlicher Handlungsbedarf durch Smart Metering und gemessene Transformationen. Als mittelständisches Unternehmen, so Müller, stand man dabei im Vergleich zu Großkonzernen bei der Hard- und Softwarebeschaffung oft im Nachteil. Ähnliches galt für die Gewinnung von Fachpersonal. Um bei diesen Faktoren ressourcenschonend zu agieren, betonte Müller die Notwendigkeit, nicht nur das Energiesystem selbst, sondern auch die organisationalen Prozesse zu digitalisieren. Dabei unterstrich er besonders das Motto: „Nicht schlechte Prozesse digitalisieren, sondern lieber gute digitale Prozesse frisch etablieren“.
Der Smart Meter Rollout sei von einer bisher nicht dagewesenen Einigkeit der Branchenakteure geprägt, betonte Ruwen Konzelmann, Geschäftsführer der Theben Smart Energy. Mit Verweis auf die kürzlich stattgefundenen Metering Days stellte er fest: „Man sieht, die Akteure sind sich einig. Es ist eine große Aufgabe, wir bauen gerade das gesamte Energiesystem um. Die Aufgabe ist ein Marathonlauf, kein Sprint, dessen müssen wir uns bewusst sein.“ Konzelmann verwies dabei besonders auf die zentrale Bedeutung der Stromversorgung und ihre weitreichenden Verflechtungen mit anderen Infrastrukturen. Die damit verbundenen Herausforderungen zeigten sich besonders im Bereich des Messens und Steuerns in der Niederspannung, wo auch die Produkte von Theben Smart Energy ansetzten. Mit dem BSI-zertifizierten Smart Meter Gateway und den zertifizierten Steuerboxen und Mehrwertmodulen seien nun die Grundlagen für die netz- und marktdienliche Steuerung verfügbar. Die Massenproduktion dieser Elemente sei nun die Grundlage für die weitere Integration von Ladesäulen, Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen im Sinne der Smart Grids.
Block 2: Von wegen Kleinvieh – dezentrale Flexibilität als wichtiger Baustein im zukünftigen Energiesystem
Die Bedeutung der Energieflexibilität für die Energiewende unterstrich Prof. Dr. Dietmar Gräber von der Technischen Hochschule Ulm. Die Potenziale energieflexibler Haushalte, Gebäude und Liegenschaften gewännen in der Fachdiskussion zunehmend an Bedeutung. Dabei verwies Gräber auf den stark ansteigenden flexibilisierbaren Verbrauch in verschiedenen Bereichen: von Elektrogroßgeräten in Haushalten über Wärmepumpen und Batteriespeicher in Gebäuden bis hin zu Elektroautos in Liegenschaften. Das wirtschaftliche Potenzial dieser Entwicklung sei beachtlich, so Gräber. Unter Einbeziehung der Erlösmöglichkeiten verschiedener Marktsegmente prognostizierte er ein Marktvolumen von sieben bis acht Milliarden Euro für Verbrauchsflexibilisierung und entsprechende Lösungen – eine Größenordnung, die mit dem Smartphone-Markt vergleichbar sei. Allerdings führten die aktuellen Rahmenbedingungen zu hohen Erschließungskosten der Flex-Potenziale, wodurch sich Investitionen meist nur bei Neubau oder Sanierung rechneten. Als Lösungsansätze empfahl Gräber, die bewährten Erfolgsfaktoren der Energiewende weiterzuführen: Freiwilligkeit, positive Anreize und Partizipation bei gleichzeitig geringer Bürokratie. Konkret schlug er eine angepasste Netzentgeltsystematik mit Leistungspreisen für Endkunden sowie mehr Eigenverantwortung für Netzbetreiber bei der Nutzung von §14a EnWG vor.
Die zentrale Rolle der Flexibilität im Stromnetz betonte Dr. Jochen Bammert von der TransnetBW. Als Übertragungsnetzbetreiber sieht sich TransnetBW dabei in einer dreifachen Position: als Bedarfsträger, Ermöglicher und Vorreiter für Flexibilität sowie als Partner für deren Integration. Der wachsende Bedarf an Flexibilität ergebe sich, so Bammert, aus einem fundamentalen Paradigmenwechsel: Statt wie bisher die Erzeugung der Last folgen zu lassen, müsse künftig die Last der Erzeugung folgen. Dies werde auch im Netzentwicklungsplan berücksichtigt, der bei der Dimensionierung des zukünftigen Stromnetzes bereits Flexibilität voraussetze. Zusätzlich erfordere der Rückgang konventioneller Kraftwerke bei gleichbleibendem Bedarf an Systemdienstleistungen neue Lösungsansätze. Als Herausforderung und zugleich Teil der Lösung sieht Bammert den Zubau von Flexibilität, der sowohl explizit als auch implizit durch dynamische Netzentgelte erfolgen könne. Dabei verwies er besonders auf die zunehmende Bedeutung von Lasten als Flexibilitätsquellen. Als eines der Beispiele dafür wurde das Pilotprojekt OctoFlexBW genannt, mit dem aufgezeigt werden soll, wie Flexibilitäten in Zukunft gehoben würden. Dr. Bammer fasste die zentralen Herausforderungen zusammen: Flexibilitäten sind auf allen Ebenen nötig. Marktliche Lösungen müssen dabei von Kundenseite gedacht werden. Die dafür geeigneten Infrastrukturen gelte es nun technisch, organisatorisch und regulativ zu schaffen. Dazu müsse die Komplexität der Systeme ebenenübergreifend beherrschbar gemacht werden. Neben der technischen Ebene betreffe dies vornehmlich eine Regulierung, welche die passenden Rahmenbedingungen für Informationstransfer und -nutzung schaffen müsse.
Wolfgang Wille von Netze ODR gab einen Einblick in die praktischen Herausforderungen eines Verteilnetzbetreibers bei der Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen. Die präsentierten Zahlen zeigten einen rapiden Anstieg aller relevanten Technologien: Bei EEG-Anlagen, Speichern und Verbrauchern. Als Lösungsansatz präsentierte er das Konzept standardisierter Landkarten für die Energiewirtschaft, die durch eine zentrale Stelle wie die „Energy Operations Map“ modelliert und verwaltet werden sollen. Dies soll nicht nur die Umsetzung kurzfristiger regulatorischer Änderungen beschleunigen, sondern auch eine gemeinsame Sprache für alle Beteiligten schaffen. Wille betonte dabei die Notwendigkeit, nicht nur die Rahmenbedingungen für die Energiewende schneller zu gestalten, sondern auch die eigenen Prozesse zu beschleunigen. Die Vorteile dieses Ansatzes sieht er besonders in der schnelleren Analyse, Bewertung und Beplanung von Anforderungen sowie in der unmittelbaren Verortung neuer regulatorischer Vorgaben durch den Gesetzgeber.
Praktische Einblicke in die Umsetzung dynamischer Tarife gab Dirk Ebinger von Thüga Solutions. Die Unterstützung der Stadtwerke durch die Entwicklung eines modularen Werkzeugkastens für intelligente Tarife und deren Verknüpfung mit steuerbaren Verbrauchseinheiten sei dabei dringend nötig. Denn: Das gesamte Know-how müsse derzeit Stück für Stück aufgebaut werden. Auf dem Weg von der Regulatorik zum Geschäftsmodell identifizierte Ebinger verschiedene Herausforderungen: von Akzeptanz und technischer Umsetzung über desintegrierte Verträge und §14a-Steuerung bis hin zu technologischen Fragen wie LTE versus LAN. Diesen stünden jedoch auch bedeutende Chancen gegenüber, insbesondere die Digitalisierung und Skalierung sowie eine hohe Kundenbindung bei relevanten Zielgruppen. Dezentrale Flexibilität entwickle sich zukünftig zur Kernaufgabe für Stadtwerke.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die zeitliche Synchronisation verschiedener Regelungen – wie §14a EnWG in 2024, Steuerung über Messsysteme Mitte 2026 und dynamische Tarife Anfang 2025 – eine besondere Herausforderung darstellt. Ebinger betonte die Notwendigkeit, die Komplexität zu reduzieren und den Kundennutzen klarer herauszustellen. Dabei müsse man möglicherweise von perfektionistischen Ansprüchen abrücken. Die Rolle von Speichern wurde ausführlich diskutiert: Während Großspeicher ähnlich wie konventionelle Kraftwerke Schwankungen ausgleichen könnten, wurde auch die Kombination von Speichern und Flexibilität als zukunftsweisend gesehen. Die weitere Entwicklung bleibe dynamisch und könnte noch für Überraschungen sorgen. Wichtig sei nun aber besonders: Die Umsetzung zu beschleunigen.
Block 3: Inkubator Baden-Württemberg: Neue Smart Grids-Geschäftsmodelle im Land
Einen praxisorientierten Einblick in die Cloud-Integration von Smart Meter Gateways gab Philipp Nagel von der Mako365 GmbH. Er hob dabei besonders die oft übersehenen Möglichkeiten zur Komplexitätsreduktion hervor: Etwa die sichere Nutzung von Internet-Anbindungen für Smart Meter Gateways mittels BSI-zertifizierter Verschlüsselungskanäle, wo andere Anbindungen nur mit hohem Aufwand realisierbar seien. Dies sei eine deutliche Vereinfachung, um so die benötigten Daten für marktliche Messstellenbetreiber bereitzustellen.
Die wachsende Bedeutung von Daten und Künstlicher Intelligenz für Stadtwerke beleuchtete Todor Kostov von der Reasonance GmbH. Mit der ATLAS-Plattform stellte er eine Lösung vor, die Optimierungsprobleme adressiert und beispielsweise Vorhersagefehler von Erzeugungsanlagen verbessert, wodurch unter anderem die Monetarisierung von Batteriespeicherkapazitäten optimiert werden kann. In Zeiten zunehmend dezentraler Energieerzeugung und volatiler Einspeisung betonte Kostov besonders die wachsende Bedeutung von Kleinflexibilitäten für die Stabilisierung des Energiesystems und die Erschließung und Optimierung ihres wirtschaftlichen Einsatzes.
Den Kongress beschloss Dr. Birger Becker von der EnQS GmbH. Die von ihm vorgestellten praktischen Erfahrungen der EnQS GmbH aus Ende-zu-Ende-Tests und Prototyping-Projekten zeigten, dass besonders die Kompatibilität verschiedener Hard- und Softwarekomponenten eine zentrale Herausforderung beim Aufbau intelligenter Netze darstellt. Durch systematisches Testing und die Erprobung neuer Lösungen in Labor- und Feldtests könnten diese Hürden jedoch überwunden und die notwendige Interoperabilität für erfolgreiche Smart-Grid-Implementierungen erreicht werden. Damit bearbeitet EnQS ein kritisches Element bei der Umsetzung von Smart Grids: Die Sicherstellung der Interoperabilität von Hard- und Softwarekomponenten der verschiedenen Hersteller.
Austausch und Vernetzung rund um intelligente Energienetze
Auch in diesem Jahr bot der Rahmen des Kongresses vielfältige Möglichkeiten für Networking und Gespräche. Beim sogenannten „Markt der Möglichkeiten“ präsentierten sich in der Pause und im Anschluss an die Veranstaltung einige Mitglieder der Smart Grids-Plattform mit Informationsständen ihre Unternehmen und Tätigkeiten – eine gute Möglichkeit für Austausch und Vernetzung. In diesem Rahmen erfolgte auch die Übergabe des Initialberichts zum Monitoring der Umsetzung der Smart Grids-Roadmap Baden-Württemberg 2.0 an das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg. Der Monitoring-Prozess mit Akteurseinbindung startet in 2025. Sie möchten dabei sein? Melden Sie sich noch heute an.
Folien der Referierenden
Nachstehend stehen Ihnen die freigegebenen Folien der Referierenden zum Download zur Verfügung