Rückblick: Smart Grids-Gespräche – § 14a EnWG & dynamische Netzentgelte am 15. Mai 2025

Was bringt § 14a EnWG für Netzbetreiber und Verbraucher:innen? Darüber sprachen wir am 15. Mai 2025 am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung BW in Stuttgart.

Veröffentlicht: 21. Mai 2025 | Kategorie: Allgemein, Blog, SmartGrids-Gespräche

Nachbericht

Smart Grids-Gespräche am 15. Mai 2025: § 14a EnWG und darüber hinaus

 

Wie können Flexibilitäten im Stromnetz genutzt werden? Welche Rolle können dynamische Netzentgelte dabei spielen? Und wie werden steuerbare Verbrauchseinrichtungen im Verteilnetz in Zukunft geregelt und welche Herausforderungen entstehen bei der praktischen Umsetzung? All diese Fragen standen im Mittelpunkt unserer Ganztagesveranstaltung „§ 14a EnWG und darüber hinaus“ am 15. Mai 2025.

Vielen Dank an dieser Stelle an unseren Kooperationspartner Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW).

Auf dieser Seite finden die Veranstaltungsvideos, unseren Nachbericht sowie die freigegebenen Präsentationsfolien.

Vormittag

Flexibilitäten nutzen – Was können dynamische Netzentgelte bewirken?

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Der Vormittag – moderiert von Jonas Petzschmann, stellvertretender Fachgebietsleiter Smart Grids und Netzintegration am ZSW und Vorstandsmitglied der Smart Grids-Plattform Baden-Württemberg e.V.– stand unter dem Motto „Flexibilitäten nutzen – Was können dynamische Netzentgelte bewirken?“.

Linda Roth, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZSW, eröffnete die Vortragsreihe mit ihrem Beitrag „Vom Konzept zur Praxis – Engpässe vermeiden durch dynamische Netzentgelte“. Sie ordnete die aktuelle Situation im Kontext der Energiewende ein, indem sie die Entwicklung in vier Phasen darstellte. Deutschland befinde sich mit 59,4% erneuerbarer Stromerzeugung in der zweiten Phase, gekennzeichnet durch Netzausbau, Flexibilisierung und erste Überschüsse. Ein zentrales Problem: Der erforderliche Netzausbau bis 2045 wird auf rund 700 Milliarden Euro geschätzt, was die Netzentgelte von etwa 11 um bis zu 18 Cent pro Kilowattstunde für Haushalte steigern könnte. Angesichts dieser Herausforderung rückt die Gestaltung der Netzentgeltsystematik verstärkt in den Fokus. Roth erläuterte, dass bei der Gestaltung verschiedene „Regler“ angepasst werden können: die Kostenaufteilung zwischen Last und Erzeugung, das Verhältnis zwischen Grund- und Arbeitspreis sowie die Orts- und Zeitabhängigkeit. Dynamische Netzentgelte könnten ein wichtiges Werkzeug zur Engpassvermeidung darstellen, indem sie im Gegensatz zu statischen Tarifen auch kurzfristige, wetterabhängige Phänomene erfassen. Im BMWE-geförderten Projekt „CACTUS“ wird die praktische Umsetzung dynamischer Netzentgelte erforscht. In vier Testgebieten soll untersucht werden, wie Verbraucher auf Preisanreize reagieren und welche Wirksamkeit unterschiedliche Zeitabhängigkeiten haben.

Dr. Holger Ruf von den Stadtwerken Ulm/Neu-Ulm berichtete über die praktischen Herausforderungen bei der Digitalisierung von Verteilnetzen als Voraussetzung für dynamische Netzentgelte. Die Digitalisierung in der Niederspannung sei ein mehrdimensionales Projekt, bei dem IT-Systeme, Daten, regulatorische Anforderungen und die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt werden müssen. Anhand eines Feldtests im ländlichen Raum veranschaulichte Ruf den Mehrwert: Durch Netzzustandsdaten konnten Grenzwertverletzungen frühzeitig erkannt und Netzausbaumaßnahmen proaktiv geplant werden. Im aktuellen Testgebiet wurden 185 intelligente Messsysteme flächendeckend verbaut, mit dem Ziel, einen „digitalen Zwilling“ des Netzes aufzubauen. Trotz der Komplexität und Kosten sieht Ruf klare Vorteile: Die Digitalisierung ermöglicht den Übergang von statistischen Annahmen zu realen Daten und eine datengetriebene Netzplanung. Obwohl kostenintensiv, sei der klassische Netzausbau mit „Kupfer vergraben“ noch teurer.

Markus Helfer von den Stadtwerken München stellte ein im Projekt unIT-e² entwickeltes Positionspapier zur Netzentgeltsystematik vor. Die aktuelle Herausforderung: Das Kundenverhalten ändert sich grundlegend. Während ein traditioneller Haushalt eine Leistung von etwa 1-3 kW benötigte, können moderne „Flexumer“ mit PV, Wärmepumpe und E-Auto Leistungsspitzen von bis zu 30 kW verursachen. Auch die Gleichzeitigkeit der Nutzung steigt deutlich. Der Lösungsvorschlag: Leistungsbasierte, gestaffelte Grundpreise. Kunden werden je nach benötigter Leistung in verschiedene Preisklassen eingeteilt. Dieses System wäre verursachungsgerechter und würde diejenigen entlasten, die keine höhere Leistung benötigen. Helfer betonte, dass dieser Ansatz mit dynamischen Netzentgeltkomponenten kombiniert werden könne. Die gestaffelten Grundpreise würden die Fixkosten abbilden, während ein flexibler Arbeitspreis zusätzliche Anreize zur Lastverschiebung bieten könnte. Zum aktuellen Diskussionspapier der Bundesnetzagentur (BNetzA) merkte Helfer an, dass es für Standardlastprofilkunden bislang keine konkreten Vorschläge enthalte und dynamischen Netzentgelten skeptisch gegenüberstehe.

Peter Cuony von der Groupe E AG stellte den in ihrem Netzbereich bereits implementierten dynamischen Netztarif „Vario“ vor. Die Herausforderung liegt besonders in der Elektromobilität, die ohne Steuerung zu verstärkten Abendspitzen führen würde. Der 2024 eingeführte Wahltarif setzt Anreize, den Verbrauch in lastschwache Zeiten zu verlagern. Die Preise variieren viertelstündlich basierend auf der Netzlastprognose, mit einer Schwankung des integrierten Tarifs zwischen 10 und 40 Rappen pro kWh. Die technische Umsetzung ist unkompliziert: Die Netzlastprognose wird über eine Formel in Tarifwerte umgerechnet und über eine Web-API veröffentlicht. Energiemanagementsysteme der Kunden können diese Daten abrufen und Verbrauchsgeräte entsprechend steuern. Erste Erfahrungen sind positiv: Elektroautos werden nachts statt am Abend geladen, wodurch sich der Verbrauch deutlich von den Abendstunden in die Nacht verlagert. Die Kosten für die Implementierung waren mit etwa 50.000 Franken überschaubar. Die Netzlast korreliert stark mit den Day-Ahead-Preisen, sodass die Optimierung oft für Netz und Markt gleichermaßen vorteilhaft ist. Regulatorisch hat die Schweiz einen pragmatischen Weg gewählt: Ab 2026 sind dynamische Netzentgelte explizit erlaubt.

 

Podiumsdiskussion & Fazit

In der Podiumsdiskussion mit den Referierenden wurde erörtert, warum die Umsetzung in Deutschland komplexer erscheint. In Deutschland führt die stärkere Regulierung zu mehr Schnittstellen und höherer Komplexität. Bezüglich der Ausführungen auf die Netzführung, wurde auch die Gefahr künstlicher Gleichzeitigkeit durch dynamische Tarife thematisiert. Erste Erfahrungen zeigen aber, dass diese aufgrund der trägen Kundenreaktion mittelfristig überschaubar bleibt. Bei der Preisfindung besteht noch Forschungsbedarf, wobei pragmatische Ansätze als Einstieg sinnvoll erscheinen. Außerdem wurde die Notwendigkeit von Konstanz in der Regulierung betont.

Die Veranstaltung zeigte, dass dynamische Netzentgelte ein wichtiges Werkzeug zur Bewältigung der Herausforderungen im Verteilnetz sein können. Der Vergleich zwischen Deutschland und der Schweiz verdeutlichte, dass nicht nur technische, sondern auch regulatorische und organisatorische Aspekte entscheidend sind. Einigkeit bestand darin, dass die Energiewende im Verteilnetz nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen gelingen kann, wobei dynamische Netzentgelte ein wichtiger Baustein sind – nicht als alleinige Lösung, aber als Teil eines integrierten Ansatzes zur effizienteren Nutzung der Netzinfrastruktur.

Nachmittag

Die Folgen des § 14a EnWG für die Praxis

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Nach der Mittagspause und einem für die Vor-Ort-Teilnehmenden angebotenen geführten Rundgang durch das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) stand das Nachmittagsprogramm unter dem Titel „Die Folgen des § 14a EnWG für die Praxis“. Arno Ritzenthaler, Geschäftsführer der Smart Grids Plattform Baden-Württemberg, führte durch das Programm.

Zunächst ordnete Jonas Petzschmann (ZSW) in seiner Keynote die aktuelle Situation in die verschiedenen Phasen der Energiewende ein. Er betonte, dass wir uns in einer neuen Phase befinden, in der systemische Herausforderungen in den Vordergrund treten. Anhand aktueller Ereignisse wie der Neubildung der Bundesregierung, dem Solarspitzengesetz und den jüngsten schweren Systemstörungen in Spanien und Portugal verdeutlichte Petzschmann die ökonomischen, kommunikativen, regulatorischen und technischen Herausforderungen der Energiewende. Die aktuellen Regelungen wie § 14a EnWG und das Modul 3 seien zwar ein Anfang, nutzten aber noch nicht die Kosteneinsparpotenziale, die durch effiziente Flexibilitätseinbindung möglich wären.

Rechtsanwalt Dr. Michael Weise (Becker Büttner Held (BBH)) gab einen Überblick über den rechtlichen Rahmen des Paragraphen 14a EnWG und verdeutlichte die extreme Komplexität: „Der energierechtliche Rahmen hat eine Komplexität erreicht, die nicht mehr beherrschbar ist, auch durch den Gesetzgeber nicht. Bei § 14a EnWG geht es um die Steuerung von Verbrauchseinrichtungen durch den Netzbetreiber. Dazu gehören nicht-öffentliche Ladepunkte, Wärmepumpen, Anlagen zur Raumkühlung und auch Speicher mit mehr als 4,2 kW Netzanschlussleistung. Die Steuerung soll bis Ende 2028 präventiv erfolgen, danach dynamisch auf Basis des Netzzustands. Als Gegenleistung gibt es Netzentgeltreduzierungen über drei wählbare Module. Weise betonte die enge Verzahnung mit dem Messstellenbetriebsgesetz, wies aber auch auf Widersprüche hin, da die Messstellenbetriebsgesetznovelle erst im Februar 2025 in Kraft trat, während die § 14a EnWG-Festlegungen bereits 2024 galten. Die Situation beim Rollout intelligenter Messsysteme ist derzeit noch ernüchternd: Bundesweit sind erst 2,18% der Messstellen ausgestattet, der Hochlauf zeichnet sich erst langsam ab. Neben der derzeit noch sehr geringen Gesamtzahl kristallisiert sich ein neues Problembild heraus: Große Messstellenbetreiber sind anteilig schon deutlich weiter als kleine Messstellenbetreiber. Während die einige die 20%-Ziele für 2025 (90% bei Neuanlagen) erreichen werden, werden andere abgehängt und laufen Gefahr ihre Zuständigkeit durch die Bundesnetzagentur an den Auffangmessstellenbetriber abgeben zu müssen

Sven Zahorka (Netze BW) beleuchtete in seinem Vortrag die praktische Umsetzung. Die Anzahl der Anfragen für PV-Anlagen und Elektromobilität ist seit 2021 um 200% gestiegen, während das Netz nie für solche Verbraucher ausgelegt wurde. Da der Netzausbau Zeit braucht, ist intelligente Steuerung notwendig, um Leistungsspitzen abzufangen. Die Netze BW hat in Forschungsprojekten bereits positive Erfahrungen gesammelt: Viele Teilnehmer bemerkten die Steuerungseingriffe nicht, und die Mindestleistung von 4,2 kW erwies sich als ausreichend. Im Projekt „Flex Shift“ werden nun verschiedene Aspekte des Flexibilitätsmanagements bearbeitet. Dazu gehört der Rollout von Sensorik – aktuell sind 10% der Umspannstationen der Netze BW mit Messtechnik ausgestattet – sowie die Entwicklung von Systemen zur Netzzustandsermittlung. Für die 90% der Stationen ohne Messdaten setzt die Netze BW auf künstliche Intelligenz: Mit Hilfe der Daten aus gemessenen Stationen, ergänzt um Kunden- und Wetterdaten, wird ein KI-Modell trainiert, das den Zustand ungemessener Stationen abschätzen kann.

Jochen Schmidt (Südwestdeutsche Stromhandels GmbH) beschrieb die Herausforderungen für kleine und mittlere Stadtwerke, die oft nicht über die nötigen Ressourcen und das Know-how verfügen. Die Digitalisierung, der Messstellenbetrieb und die Umsetzung von § 14a EnWG stellen sie vor enorme Anforderungen. Schmidt betonte, dass Kooperation daher „keine Option, sondern wirtschaftlich oft notwendig“ sei. Als Dienstleister sieht die Südweststrom ihre Aufgabe darin, modulare Lösungen anzubieten und Synergien zu nutzen. Besonders wichtig sei die Etablierung eines klaren Rollenverständnisses innerhalb der Unternehmen sowie die Anpassung von Prozessen und IT-Infrastrukturen. Als Lösungsansatz empfahl er skalierbare IT-Infrastrukturen, Automatismen und Algorithmen sowie die Nutzung von Synergien durch Kooperationen. Trotz aller Herausforderungen betonte Schmidt die Bedeutung regionaler Versorger für die Kundennähe und die Akzeptanz der Energiewende.

Dr. Manuel Lösch (InnoCharge GmbH) zeigte Potenziale für neue Geschäftsmodelle auf. Er präsentierte eine Analyse der variablen Netzentgelte: Im Durchschnitt beträgt der Standardtarif 8,7 Cent pro Kilowattstunde (netto), der Niedrigtarif 2,6 Cent und der Hochtarif 12,5 Cent. Das entspricht einer möglichen Ersparnis von 6,1 Cent bei Lastverlagerung in den Niedrigtarif. Zeitlich gilt der Standardtarif durchschnittlich für 17,3 Stunden pro Tag, der Hochtarif für 3 Stunden und der Niedrigtarif für 3,7 Stunden. Nachts gilt fast überall der Niedrigtarif, abends der Hochtarif, während mittags regionale Unterschiede bestehen. Der tägliche Preis-Spread am Spotmarkt hat von weniger als 5 Cent/kWh im Jahr 2020 auf 11,7 Cent im Jahr 2024 zugenommen. Besonders interessant: Variable Netzentgelte und dynamische Tarife verstärken sich gegenseitig, da günstige Marktpreise oft mit niedrigen Netzbelastungen zusammenfallen. Durch die Kombination verschiedener Optimierungsansätze können Einsparungen von bis zu 15 Cent/kWh realisiert werden – eine Halbierung des üblichen Endkundenpreises. Lösch stellte einen Ansatz vor, der auf einer Multi Asset-Optimierung von Elektroauto, Wärmepumpe und Heimspeicher basiert und verschiedene Anreize gleichzeitig berücksichtigt.

 

Podiumsdiskussion & Fazit

In der Podiumsdiskussion stellte sich die Frage, ob die derzeitige Komplexität gerade für kleine Stadtwerke noch zu bewältigen sei. Petzschmann wies auf die grundlegende Frage hin, ob die aktuelle Struktur mit 866 Verteilnetzbetreibern noch zeitgemäß sei. Ein weiteres Thema war die Gefahr von „Rebound-Peaks“ durch gleichzeitige Reaktionen auf Preissignale. Schmidt befürwortete Kooperationen, sprach sich aber für den Erhalt der kleinteiligen Struktur aus. Die Experten sahen darin aktuell kein großes Problem, da der Hochlauf flexibler Anlagen schrittweise erfolge und die geschaffenen Mechanismen genau dafür konzipiert seien. Zahorka betonte, dass die Netze BW aktuell keine § 14a EnWG-Kunden steuere, was zeige, dass noch kein akuter Bedarf bestehe. Die § 14a-Steuerung sei nicht für eine flächendeckende Dauersteuerung gedacht, sondern als punktuelle Notfallmaßnahme. Beim Thema bidirektionales Laden sahen die Experten vor allem Potenziale für die marktliche Nutzung, weniger für die Netzoptimierung, da das Verteilnetz weiterhin auf den Worst Case ausgelegt werde.

Die Veranstaltung zeigte, dass mit § 14a EnWG und den variablen Netzentgelten wichtige Instrumente für die Integration flexibler Verbraucher geschaffen wurden. Gleichzeitig stehen besonders kleine Stadtwerke vor enormen Herausforderungen bei der Umsetzung. Die technischen Lösungsansätze von KI-basierten Prognosemodellen bis zu Optimierungsalgorithmen sind vielversprechend. Für die Zukunft wird entscheidend sein, ob pragmatische Lösungen gefunden werden, die sowohl den regulatorischen Anforderungen genügen als auch für alle Akteure umsetzbar sind.

Wir danken allen Teilnehmenden – vor Ort und im Livestream – für die hohe Beteiligung und die vielen guten Fragen! Danke auch an unseren Kooperationspartner ZSW für die gute Zusammenarbeit! Wir freuen uns bereits auf die nächsten Smart Grids-Gespräche.

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